Eine Nationale Sicherheitsstrategie muss klare Prioritäten setzen, die Bedrohungslage analysieren und sich auf strategische Partner konzentrieren. In einer Online-Umfrage haben wir über 2800 Mitglieder der DGAP befragt, um Einblicke in das Denken eines Teils der deutschen außenpolitischen Community zu erhalten. Die fast 500 Antworten zeigen signifikante Unterschiede zwischen den Generationen.
DGAP Memo Nr. 1, 13. Juni 2023, 3 S.
Prioritäten betrachtet. Russland und China werden als Hauptbedrohungen wahrgenommen, gefolgt vom Klimawandel und der Nutzung von KI durch autoritäre Regime. Die EU und die NATO werden als wichtigste Partner identifiziert. Bei der jungen Generation und Frauen spielen der Klimawandel, KI sowie die EU und Partner des globalen Südens eine wesentlich größere Rolle. Russland wird von ihnen als weniger bedrohlich wahrgenommen, während wirtschaftliche Resilienz für junge Menschen höchste Priorität hat und China als größere Bedrohung als Russland angesehen wird.
Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP) hat vom 1.6.2023 bis zum 8.6.2023 in einem Online-Survey 2849 ihrer Mitglieder zu Prioritäten für die Deutsche Nationale Sicherheitsstrategie befragt. DGAP-Mitglieder sind in der Regel Deutsche mit großem Interesse an Sicherheits- und Außenpolitik. Die Ergebnisse geben daher Einblicke in das Denken der deutschen außenpolitischen Community, ohne den Anspruch auf Repräsentativität zu erheben. 485 Mitglieder haben die Einladung zur Teilnahme angenommen und durchschnittlich 6 Minuten damit verbracht, drei inhaltliche Fragen sowie Fragen zu Alter, Geschlecht und Wohnort in Berlin zu beantworten. In jeder Altersgruppe gab es eine ähnliche Anzahl von Teilnehmern, wobei Frauen allerdings mit weniger als 20 Prozent unterrepräsentiert waren. Etwa 40 Prozent der Teilnehmer kamen aus Berlin, aber die Ergebnisse aus der Hauptstadt ähneln denen außerhalb Berlins. Die detaillierten Ergebnisse können dieser Präsentation entnommen werden. |
In unserer Umfrage haben die Teilnehmer die zentralen Herausforderungen für Deutschlands Strategie benannt. Die Verteidigungsfähigkeit wurde von 68 Prozent der Befragten als Hauptpriorität genannt, gefolgt von wirtschaftlicher Resilienz mit 65 Prozent und Cybersicherheit mit 39,8 Prozent. Der Systemwettbewerb zwischen Demokratie und Autokratie rangiert an vierter Stelle, während der Klimawandel erst an fünfter Stelle genannt wird. Die Verteidigung von Menschenrechten wird als die geringste Priorität für die nationale Sicherheitsstrategie angesehen.
Prioritäten für Deutschlands Strategie
Interessanterweise zeigen sich in der Umfrage erhebliche Unterschiede in der Prioritätensetzung je nach Altersgruppe der Teilnehmer. Grafik 1 zeigt, dass wirtschaftliche Resilienz, Verteidigungsfähigkeit und Klimawandel die wichtigsten Prioritäten für die Altersgruppe bis 35 Jahre sind, dicht gefolgt vom Systemwettbewerb und der Cybersicherheit. Das Bild ändert sich jedoch vollständig in den beiden älteren Altersgruppen. Hier steht Verteidigungsfähigkeit an erster Stelle, gefolgt von wirtschaftlicher Resilienz und Cybersicherheit. Der Klimawandel liegt weit abgeschlagen. Besonders die Altersgruppe 65+ betont den Zusammenhang zwischen innerer und äußerer Sicherheit am stärksten. Der Systemwettbewerb und die Verteidigung der Menschenrechte sind für die älteren Gruppen deutlich weniger wichtig als für die jüngere Generation.
Eine Nationale Sicherheitsstrategie sollte auf klaren Risikoanalysen basieren. Die Mitglieder der DGAP identifizieren Russland, China, den Klimawandel und die Nutzung von KI durch autoritäre Regime als zentrale Bedrohungen für Deutschland. Auch hier gibt es erhebliche Unterschiede je nach Altersgruppe. Bei der jüngeren Mitgliedschaft stehen der Klimawandel und China klar an erster Stelle, gefolgt von KI. Erst danach wird Russland genannt. In den beiden älteren Altersgruppen hingegen ist Russland eindeutig die größte Bedrohung, gefolgt von China. Die mittlere Altersgruppe platziert den Klimawandel unter den Top 3, während dies für die Gruppe 65+ weniger relevant ist. Pandemien werden von allen Gruppen als geringeres Risiko eingeschätzt.
Partnerschaften für Deutschlands Ziele
Abschließend haben wir nach Partnerschaften gefragt, auf die sich die Bundesrepublik konzentrieren sollte, um ihre Ziele zu erreichen. Die EU und die NATO stehen klar an erster und zweiter Stelle, wobei in der Altersgruppe 65+ die NATO sogar als wichtiger angesehen wird als die EU. Bei der dritten Position gibt es deutliche Unterschiede zwischen der jungen Generation und den älteren Generationen. Die unter 35-Jährigen setzen auf Partnerschaften mit dem globalen Süden, und nur 22 Prozent nennen die USA, weniger als Frankreich. Bei den älteren Generationen sind die USA und Frankreich hingegen klar die wichtigsten Bündnispartner.
Geschlechterunterschiede
Es gibt auch deutliche Geschlechterunterschiede, insbesondere bei der Bedrohungsanalyse. Während Frauen vor allem den Klimawandel und KI nennen, stehen bei Männern Russland und China im Vordergrund. Frauen betrachten die Verteidigungsfähigkeit als weniger herausfordernd, aber den Klimawandel als größere Bedrohung. Die wirtschaftliche Resilienz wird etwa gleich gewichtet. Bei der Frage nach Bündnissen und Partnerschaften priorisieren Frauen die EU stärker vor der NATO im Vergleich zu Männern. Außerdem betrachten sie die USA als weniger wichtig.
Die Ergebnisse liefern interessante Einblicke in das Denken verschiedener Teile der deutschen außenpolitischen Community. Sie stellen jedoch keine wissenschaftliche Analyse der tatsächlichen Bedrohungslage dar. Ihr Wert besteht darin, zu verdeutlichen, warum es für die Koalition schwierig war, bei diesen Fragen zu einem Konsens zu gelangen. Denn in der Koalition sind Parteien mit unterschiedlichen Wählergruppen vereint – die Grünen haben zum Beispiel eine jüngere Wählerschaft als die SPD.
Mit der Verabschiedung und Veröffentlichung der nationalen Sicherheitsstrategie am 14. Juni stellt sich für die Ampelkoalition somit die Frage, wie sie die Geschlechter- und Generationengräben überwinden kann. Es wird von großer Bedeutung sein, einen politischen Konsens für die identifizierten zentralen Herausforderungen in der Nationalen Sicherheitsstrategie zu erlangen, die erforderlichen Ressourcen zu mobilisieren und im Haushalt angemessen zu priorisieren.