This op-ed was first published in NZZ.
Die Coronavirus Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung haben zu dem größten weltweiten Wirtschaftsabschwung seit dem zweiten Weltkrieg geführt. Unternehmen, private Haushalte und der Staat navigieren in dieser Situation großer Unsicherheit auf Sicht. So werden unternehmerische Entscheidungen möglichst vertagt, bis man wieder klar sehen kann und einschätzen kann, wie in der Zukunft Geld verdient werden kann. Auch Familien verschieben Investitionen und halten ihr Geld zusammen, da die Jobunsicherheit groß ist. Der Staat wiederum hat weltweit beispielslose Hilfsprogramme aufgelegt, um Liquiditätsengpässe in Unternehmen abzufedern und Arbeitnehmer finanziel zu unterstützen und damit auch die Unternehmen zu entlasten.
Nach diesen ersten zwei Monaten des „Navigierens auf Sicht“ ist es aber nun an der Zeit, klare Prinzipien für die nächste Phase der Pandemie zu definieren und somit zumindestens eine Richtung vorzugeben. Nach den anfänglichen Liquiditätshilfen stellt sich immer mehr die Frage, welchen Unternehmen wieviel Unterstützung in Form von Transfers oder soger Eigenkapital gegeben werden sollte. Politiker und die Verwaltung können sich derzeit kaum retten vor Anfragen und jedes Unternehmen erklärt dabei genau, warum es gerade besonders rettungsbedürftig ist.
Die Vergabe von Staatsbeihilfen sollte aber klaren Regeln unterliegen. In der Anfangsphase der Pandemie war eine temporäre Aussetzung der Regeln noch sinnvoll. Aber je länger und tiefer die Rezession wird, um so mehr stellt sich die Frage, bei welchen Unternehmen Staatsbeihilfen überhaupt sinnvoll sind. Welche Unternehmen haben nach der Krise noch ein erfolgreiches Businessmodell? Welche waren auch schon vor der Pandemie in einem strukturellen Abstieg?
Entscheidungen über die Zukunftsfähigkeit einzelner Unternehmen sollte nicht der Politik überlassen werden. Anstatt dessen ist es die Aufgabe der Politik, klare Rahmenbedingungen vorzugeben, die die Grundlage dieser Entscheidungen sein kann. Neben den üblichen Kriterien der wirtschaftlichen Lebensfähigeit des Unternehmens, dem Schutz des Wettbewerbs und auch der Integrität des Binnenmarktes, stellt sich auch die grundsätzliche Frage des wirtschaftspolitischen Kompasses.
Aufgabe der Politik in diesen unsicheren Zeiten muss es deshalb sein, einen klaren wirtschaftspolitischen Kompaß zu liefern. Wohin soll die Reise gehen? Eine der entscheidensten Fragen für die wirtschaftspolitische Zukunft der Welt und auch Europas ist hierbei der Klimawandel. In einer aktuellen Umfrage gaben mehr als zwei drittel der Befragten weltweit an, dass sie den Klimawandeln für eine mindestens genauso große Gefahr ansehen wie den aktuellen Virus.
Die Entscheidungen, die derzeit bei den Staatshilfen gefällt werden, werden auch langfristig für die Einhaltung von Klimazielen relevant sein. Umgekehrt beeinflussen aber die gesellschaftlichen Ambitionen beim Klimaschutz, welche Unternehmen heute überhaupt noch ein erfolgreiches Businessmodell haben. Konkret: Macht es Sinn, Milliarden als Kaufprämie für Autos mit konventionellem Antrieb auszugeben? Oder sollte die Autoindustrie lieber mit gezielter Unterstützung für die Entwicklung neuer Modelle gestützt werden? Sollte der Staat also versuchen, den Strukturwandel während der Krise eher zu verlangsamen oder zu beschleunigen?
Insgesamt wird es nicht reichen, in den nächsten Monaten nur auf Sicht zu navigieren. Die Gesellschaft und die Politik muss jetzt eine klare Richtung vorgeben. Gesellschaftliche Ziele wie der Schutz von Arbeitsplätzen müssen vorsichtig abgewogen werden mit dem Ziel des Klimaschutzes. Aber wichtig erscheint mir hierbei die langfristige Perspektive. In der Pandemie haben wir gelernt, dass Einzelverhalten für die kollektive Gesundheit sehr relevant ist. Dies sollte eine Lehre sein für den langfristigen Klimawandel. Das Verhalten aller ist entscheidend. Jetzt die Augen vor der langfristigen Herausforderung des Klimawandels zu schliessen, nur um kurzfristig Jobs in Industriebranchen zu schützen, die in den nächsten Jahren aufgrund von härteren Umweltzielen wegfallen werden müssen, wäre ein Fehler. Ambitionierte Klimaziele, klare Rahmenbedingunen, grüne Konditionalität bei Staatshilfen für Unternehmen sowie massive Investitionen in neue Wirtschaftszweige wird sich langfristig auszahlen.
Richtig ist aber auch, dass die Pandemie diese Entscheidungen schwerer und nicht leichter macht. Wenn der eigene Job in Gefahr ist, dann ist das Klimaziel erstmal zweitrangig. Die Politik wird Klimaziele also nicht ohne starke begleitende Investitionen, die neue Jobs schaffen, durchsetzen können. Ambitionierte Klimaziele erfordern also in der derzeitigen Situation ein ambitioniertes Konjunkturporgramm. Die große Frage in Europa wird sein, ob man beides hinbekommen kann. Die Herausforderung ist groß. Europa muss sich dieser Herausforderung stellen, oder nicht nur eine lang anhaltende Depression durchleben sondern auch seine Klimaziele verpassen. Es ist Zeit zu handeln und vorauszuplanen. Navigieren auf Sicht wird nicht reichen.