This article was first published on FAZ on 23 July 2015. It is also published on Kathimerini, Il Sole 24 and an English translation on Bruegel.org.
Der wohl größte Schaden der Konfrontation mit Griechenland ist ein allgemeiner Vertrauensverlust. Damit Griechenland wieder wachsen kann, müssen die Menschen, Unternehmen und Investoren wieder Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit des Landes fassen. Hierzu bedarf es natürlich einerseits einer legitimen und kompetenten Regierung sowie einer effizienten Verwaltung und Gerichtsbarkeit. Aber auch die Frage der Schulden ist zentral, selbst wenn kurzfristig der Schuldendienst derzeit vernachlässigbar ist. Niemand bezweifelt die Analyse des IWF, dass die Nachhaltigkeit der griechischen Staatsschulden eine Schlüsselvoraussetzung für eine Gesundung bildet.
Das dritte Programm, das nun verhandelt wird, hat soll zunächst Griechenland dahin zurückzubringen, wo es am Ende des vergangenen Jahres stand, als es eine Wachstumserwartung von fast 3 % gab. Das dritte Hilfsprogramm ist daher genau das Gegenteil von einem Transferprogramm: es soll die griechische Wirtschaft stärken und die Kredite und Garantien der Gläubiger schützen. Ein Großteil der Zahlungen wird in die Umschuldung gehen. Doch dies reicht nicht aus: Die derzeitige Verknüpfung von Schuldendienst mit der Mitgliedschaft in der Währungsunion führt zu einem Teufelskreis, der die Unsicherheit erhöht, das Wachstum schwächt und damit eine Rückzahlung der Schulden unwahrscheinlicher macht. Es wird kein Vertrauen und kein Wachstum in Griechenland ohne eine Lösung des Schuldenproblems geben.
Wir schlagen vor, diesen Teufelskreis durch eine Bindung der Kreditzinsen an das Wachstum der griechischen Wirtschaft mit einem zusätzlichen konditionellen Schuldenmoratorium zu durchbrechen. Ein Griechenland ohne Wachstum soll keine Zinsen und keine Tilgung zahlen. Je stärker das Wachstum, desto höher die Zinsen und Rückzahlungen an die europäischen Gläubiger. Das Schuldenmoratorium bedeutet, dass Griechenland im Jahre 2022, wenn es nach der derzeitigen Regel den Schuldendienst an seine europäischen Gläubiger aufnehmen muss, die Rückzahlung verschieben und die Zinslast senken kann, wenn es nicht ein bestimmtes Niveau des Bruttoinlandsproduktes erreicht haben sollte.
Eine solche Lösung würde die Unsicherheit beenden und griechisches Wachstum als europäisches Anliegen sowie Voraussetzung für seinen Schuldendienst anerkennen. Stabilität und Planungssicherheit kehrten zurück. Der derzeitigen politischen Konfrontation würde der Nährboden entzogen. Ein solcher Ansatz nimmt keineswegs alle Anreize für Reformen. Eine Regierung wird stets ein großes Interesse an wachstumsfördernden Reformen haben, um etwa Arbeitslosigkeit abzubauen. Natürlich wird viel Sorgfalt erforderlich sein, das Programm so zu formulieren, dass es kontraproduktive Anreize vermeidet. Dies ist möglich und die Bedingungen hierfür sind günstig. Eine solche Lösung wäre auch für die Gläubiger von Vorteil, da bei geringem Wachstum ein Schuldenschnitt unausweichlich ist, bei starkem Wachstum, wie z.B. in Irland, man aber einen Schuldenschnitt nicht rechtfertigen kann. Eine solche Lösung würde die Haushalte der Gläubiger nur geringfügig belasten und hätte somit keine nennenswerten Konsequenzen für die deutsche Schuldenbremse.
Ein solches Zahlungsmoratorium, ökonomisch eine Art Restrukturierung der griechischen Schulden gegenüber den öffentlichen Gläubigern, also den anderen Mitgliedstaaten der Eurozone, EFSF und ESM, ist in der Eurozone rechtlich zulässig. Die Ansicht des Bundesfinanzministeriums, die dafür einen temporären Grexit verlangt, überzeugt nicht. Denn in der Rechtssache Pringle entschied der Europäische Gerichtshof zu Art. 125 AEUV, dass Mitgliedstaaten einem Mitglied der Eurozone eine „Finanzhilfe gewähren (dürfen), vorausgesetzt, die daran geknüpften Auflagen sind geeignet, ihm einen Anreiz für eine solide Haushaltspolitik zu bieten.“ Gewiss, dieses Urteil hatte keinen Schuldenschnitt, sondern nur Hilfen zum Gegenstand. Dann entschied der EuGH zur OMT-Politik der EZB aber, dass sogar die EZB ein „erhebliches Verlustrisiko“ eingehen darf, soweit sie im Rahmen ihres Mandats handelt. Zwar hat der EuGH auch dort nicht explizit entschieden, dass die EZB an einer Restrukturierung teilnehmen dürfe. Nach der Begründungslogik liegt es aber nahe zu folgern, dass sie einen Schuldenschnitt letztlich hinnehmen kann, sofern dies für die einheitliche Geldpolitik notwendig ist. Wenn dies für die EZB gilt, deren Rechtsrahmen wegen des Verbots der monetären Staatsfinanzierung besonders streng ist, dann kann eine auf Wiedererlangung der Haushaltsstabilität angelegte Restrukturierung der von anderen Mitgliedstaaten, EFSF und ESM gehaltenen griechischen Staatsschulden nicht gegen Art. 125 AEUV verstoßen. Bei einer ergebnisorientierten Betrachtungsweise umfasst dies das hier vorgeschlagene konditionelle Schuldenmoratorium.
Ebenso wenig verbietet das Grundgesetz prinzipiell eine Restrukturierung. Den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Einrichtung des ESM lässt sich entnehmen, dass das finanzielle Risiko der Hilfsprogramme für die Bundesrepublik beherrschbar und die Haushaltsautonomie des Bundestags gewahrt bleiben müssen. Dies ist bei dem ESM der Fall, weil der ESM-Vertrag den finanziellen Risiken für die Bundesrepublik eine Obergrenze setzt. Die Möglichkeit eines Schuldenschnitts wurde dabei durchaus gesehen, wenngleich seine verfassungsrechtliche Zulässigkeit nicht explizit erwähnt wird. Gewiss sind viele verfassungsrechtliche Fragen noch nicht letztlich geklärt, aber unser Vorschlag bewegt sich im Rahmen und dem Pfad der bisherigen Entscheidungen.
Die Zulässigkeit eines solchen Schuldenmoratoriums hat zwei Bedingungen. Eine Restrukturierung muss erstens zum Erhalt der Eurozone dringend erforderlich sein, was der IWF bei den griechischen Staatsschulden bescheinigt. Und zweitens muss die Restrukturierung von einem auf Haushaltsdisziplin und nachhaltige Veränderungen gerichteten Strukturreformprogramm begleitet sein. Das wird jetzt im dritten Programm hoffentlich vereinbart. Die Voraussetzungen einer grundlegenden Modernisierung des griechischen Staates erscheinen dabei so günstig wie nie: Sie würden von einer neuen Regierung angeordnet, das Land hat sich zu massiver Kontrolle bereit erklärt und die griechische Bevölkerung hat eine „near death experience“ durchlebt.
Rechtliche Gründe widersprechen also nicht einer Bindung der Schuldenlast an das griechische Wachstum oder einem konditionellen Schuldenmoratorium. Aus ökonomischer Sicht wird eine solche Lösung nicht nur die Rückzahlungswahrscheinlichkeit erhöhen. Sie wird insbesondere auch zeigen, dass Deutschland und die anderen Gläubiger ein Interesse daran haben, Griechenland zu helfen und die Stabilität der Eurozone zu garantieren.